Ausgehen, die Töchter des Landes zu sehen nach 1. Mose 34,1
In 1. Mose 34,1 heißt es:
„Dina aber, die Tochter Leas, die sie Jakob geboren hatte, ging aus, um die Töchter des Landes zu sehen.“
Dieser unscheinbare Satz steht am Anfang einer tragischen Geschichte. Dina, die Tochter Jakobs und Leas, verlässt das Lager ihrer Familie, um die jungen Frauen der Umgebung kennenzulernen. Sie will sehen, wie die anderen leben – neugierig, offen, vielleicht auch ein wenig suchend. Doch dieser Schritt hinaus in die fremde Welt endet in Leid: Sie wird von Sichem, dem Sohn eines kanaanäischen Fürsten, gewaltsam entehrt.
„Ausgehen, die Töchter des Landes zu sehen“ steht daher in der Bibel nicht nur für einen Spaziergang, sondern für ein Heraustreten aus der geschützten Gemeinschaft. Dina überschreitet eine Grenze – zwischen dem eigenen Volk und den Menschen des Landes, zwischen vertraut und fremd. In dieser Begegnung liegt sowohl Hoffnung als auch Gefahr: Hoffnung auf Austausch, Freundschaft, Verständnis – aber auch die Möglichkeit, verletzt oder missverstanden zu werden.
Der Text zeigt, dass Neugier und Offenheit Teil des menschlichen Lebens sind. Jeder Mensch verlässt irgendwann den sicheren Raum, um Neues zu entdecken. Doch er erinnert zugleich daran, dass jede Begegnung mit dem Fremden Verantwortung verlangt – auf beiden Seiten. Was Dina geschieht, ist kein Fehler ihrer Neugier, sondern Ausdruck eines Unrechts, das Macht und Gewalt über Mitmenschlichkeit stellt.
In einem weiteren Sinn erzählt diese Geschichte von der Spannung zwischen Abgrenzung und Begegnung. Das Volk Israel sollte seine Identität bewahren, aber zugleich in Beziehung zu anderen Völkern stehen. Dina wird so zu einer Symbolfigur: Ihr Ausgehen zeigt den Wunsch nach Verbindung – aber die Welt, in die sie tritt, ist nicht immer bereit, sie mit Achtung zu empfangen.
Auch heute „gehen wir aus, um die Töchter und Söhne des Landes zu sehen“ – wir begegnen anderen Kulturen, Meinungen, Lebensweisen. Der biblische Text ruft uns dazu auf, solche Begegnungen in Achtung und Würde zu gestalten. Er warnt vor Gewalt und Besitzdenken, aber auch davor, Menschen wegen ihrer Neugier oder Offenheit zu verurteilen.
Dinas Geschichte mahnt zur Verantwortung im Umgang mit dem Fremden. Wer hinausgeht, soll mit klarem Herzen und wachem Geist gehen. Wer empfängt, soll mit Respekt und Liebe handeln. Nur so kann das, was mit Schmerz begann, in Zukunft zu einem Weg des Friedens werden.
So lädt 1. Mose 34,1 uns ein, neu zu bedenken, wie wir mit dem Fremden, dem Anderen, umgehen – mit dem Mut, hinauszugehen, aber auch mit der Weisheit, Grenzen und Würde zu achten.
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